Ein Gruppenfoto der Dossier-Redaktion im österreichischen Parlament.
Foto: Parlamentsdirektion/Ulrike Wieser

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätztes Publikum!

Was wäre das Leben ohne Premieren?

Der erste Schultag, der erste Arbeitstag, die erste Rede im Parlament.

Das Leben wäre wohl langweiliger. So stehe ich heute vor Ihnen, aufgeregt – und zugleich geehrt, hier im Hohen Haus sprechen zu dürfen.

Es ehrt mich, mit so wunderbaren Kolleg·innen wie euch, der Redaktion von Andererseits, und Ihnen, Herr Haderer, heute gemeinsam ausgezeichnet zu werden. Gratulation zu eurem beeindruckenden Schaffen!

Frau Dr. Rohrer, Sie ehren mich mit Ihrer Rede. Dafür möchte ich Ihnen danken – wie für Ihren Rat, den Sie mir seit Beginn meiner journalistischen Laufbahn, meist gefragt, manchmal ungefragt, schenken.

Vielen Dank auch für die Nachforschungen, die Sie zu meinem Bildungsweg angestellt haben. Es zeigt, was für eine erstklassige Journalistin Sie sind. Endlich ist meine Karriere auch im Parlament verbrieft.

Danke auch an die Jury, dass Sie unsere Arbeit, dass Sie DOSSIER, mit dem diesjährigen Concordia-Preis in der Kategorie Pressefreiheit so wertschätzen.

Mein größter Dank aber, der gilt euch, liebe Dossiers, die ihr seit Jahren daran arbeitet, den uns bestmöglichen Journalismus zu machen. Nicht im Streben nach dem großen Geld oder dem großen Ruhm, sondern aus Überzeugung.

Aus der Überzeugung heraus, Dinge zu hinterfragen und Licht in dunkle Machenschaften zu bringen.

Würde mal ein Theaterstück über DOSSIER geschrieben werden, das wäre die Stelle, an der ich sage: „Ihr seid das beste Team, das ich mir jemals hätte wünschen können – und ich bin verdammt stolz auf uns.“

Bitte erhebt euch: Sahel, Georg, Ashwien, Julia – und all jene, die im vergangenen Jahrzehnt für uns geschrieben, lektoriert, gezeichnet, fotografiert, gestaltet haben. Das ist euer Preis.

Einen Applaus, bitte.

Seit mehr als zehn Jahren begleitet uns ein Thema, es wurde heute schon öfters genannt. Es ist journalistisch ebenso ergiebig wie es für unsere Demokratie zersetzend ist: öffentliche Inserate. Darüber könnte ich jetzt lange sprechen. Ich fasse mich kurz.

Zuerst Werner Faymann von der SPÖ, dann Sebastian Kurz, ÖVP. Zwei Bundeskanzler, zwei Parteien, eine Gemeinsamkeit: staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Zwei Regierungschefs – in zehn Jahren –, die sich mit Inseraten, das kann ich auch ohne parlamentarische Immunität sagen, gute Presse gekauft haben. Die berühmten „Millionen für den Werner“, das „Beinschab-Tool“ für Sebastian Kurz und Co.

Auf der einen Seite Politiker·innen, die Karriere machen, die regieren wollen – koste es, was es wolle. Auf der anderen Seite Verleger·innen, die Medien machen – ich sage bewusst nicht Journalismus –, um Geld, jede Menge Geld, zu verdienen. Fehlt nur noch das bevorzugte Zahlungsmittel: Inserate eben.

Es ist ein System, das der Korruption Tür und Tor öffnet. Natürlich sind es letztlich auf beiden Seiten nur wenige – die schwarzen Schafe –, bei denen das quid pro quo, also das Inserat für die wohlwollende Berichterstattung, direkt und plump funktioniert.

Doch das reicht, um die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche zu beschädigen – und letztlich das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben.

Heute am Internationalen Tag der Pressefreiheit bringen etliche Zeitungen ihren Protest gegen das neue ORF-Gesetz mit leeren Titelseiten zum Ausdruck – das kann man machen. Hier gibt es viel zu besprechen, viel zu diskutieren.

Doch wo ist der Schulterschluss der Verleger·innen gegen die öffentlichen Inserate, die den Markt seit Jahrzehnten verzerren? Wo bleibt der Aufschrei gegen Regierungsinserate, mit denen versucht wird, sich schamlos PR zu kaufen? Wo ist der Protest gegen die Inserate öffentlicher Stellen, wenn diese just in Wahlkämpfen eingesetzt werden?

Hier wird es ruhiger in der Zeitungswelt.

Bitte reisen Sie mit mir kurz zurück ins Jahr 2017. Es war ein aufregendes Jahr, ein Jahr mit einer Premiere: Sebastian Kurz wurde zum jüngsten Bundeskanzler gewählt, den die Republik bisher hatte.

Dass die ÖVP die Obergrenze an Wahlkampfkosten damals massiv überschritten hat, klammere ich jetzt mal aus. Ebenso, dass hinter den Kulissen, wie man heute weiß, Kräfte am Werk waren, mit denen nicht nur ethische, sondern mitunter auch strafrechtliche Grenzen verletzt wurden.

Worum es mir geht, ist das System.

Wie so oft zuvor konnten wir es auch 2017 nicht lassen: Wir haben Inserate gezählt. Das Ergebnis war verblüffend.

In den sechs Wochen vor der Nationalratswahl, Intensivwahlkampf heißt das, schaltete Österreichs Bundesregierung, SPÖ- wie ÖVP-geführte Ministerien, mehr Inserate als alle politischen Parteien zusammen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Es ist Wahlkampf, und die Bundesregierung wirbt mehr als die wahlkämpfenden Parteien. In Deutschland ist das seit 1977 verboten. Nicht in Österreich. Hier geht das Füllhorn der Regierungen im Bund, aber auch in der Stadt Wien erst so richtig auf, wenn gewählt wird. Jeder nur erdenkliche Vorteil wird genutzt.

Schon damals sahen wir, dass die Werbeausgaben des heute medial viel beachteten Finanzministeriums stark anstiegen. Es war aber ein anderes Ministerium, das den Vogel abschoss: das Innenministerium, kurz BMI.

2,6 Millionen Euro gab das BMI im Wahljahr 2017 für Werbebuchungen aus. Zum Vergleich: Das deutsche Innenministerium – auch in Deutschland wurde 2017 bundesweit gewählt – schaltete im selben Zeitraum 1.200 Euro.

2,6 Millionen versus 1.200 Euro.

In Österreich wird dann argumentiert: Das BMI müsse inserieren, um die Bevölkerung über die bevorstehende Wahl zu informieren. Wenn dem wirklich so wäre, warum erhielt die Tageszeitung Der Standard im Wahljahr 2017 kein einziges Inserat vom BMI?

Sie sehen: Es ergibt keinen Sinn.

Viel schlüssiger ist eine andere Erklärung. Sie rutschte dem ehemaligen Innenminister Wolfgang Sobotka Jahre später heraus: „Fürs Inserat gibt es ein Gegengeschäft“, sagte Sobotka, live on air im Gespräch mit Wolfang Fellner, einem der korruptesten Medienmacher des Landes.

Wolfgang Sobotkas Karriere schadeten die Werbebuchungen des BMI im Jahr 2017 nicht, im Gegenteil. Er wurde wenig später Präsident des Nationalrats – leider ist er heute abwesend. Aber wer weiß, vielleicht sieht er ja die Aufzeichnung dieser Veranstaltung …

Doch warum erzähle ich Ihnen das?

Spätestens im kommenden Jahr, 2024, stehen wieder Wahlen an, die EU- sowie die Nationalratswahl. Die Zeit ist reif, um die österreichische Unart, mit Regierungsinseraten in Wahlkämpfe einzugreifen, endlich abzustellen.

Denn nichts Geringeres als die Glaubwürdigkeit unserer Branche und faire Wahlen, also letztlich die Demokratie an sich, stehen auf dem Spiel.

Vielen Dank!