von Ashwien Sankholkar (22.04.21)

Am Freitag, 18. Dezember, klingelte es an der Tür der Redaktion. Der Postbote übergab ein dickes Kuvert, einen eingeschriebenen Brief vom Handelsgericht Wien. „Klagende Partei: OMV AG“ stand auf dem Deckblatt. Die Kosten alleine für die Klage werden mit 4.961,76 beziffert. Geklagt wird wegen: „Unterlassung, Widerruf, Zahlung und Feststellung“, der Streitwert: 94.000 Euro.

Foto: System Change not Climate Change (CC BY-SA 2.0), Artwork: DOSSIER

Für DOSSIER sind Klagen nichts Neues. Immer wieder erhielten wir in den vergangenen neun Jahren Briefe von Anwältinnen, manchmal ging es auch vor Gericht; etwa als wir die Missstände von Asylheimen untersucht hatten und von einem burgenländischen Hauseigentümer auf Besitzstörung geklagt wurden.

Doch vom größten Industriekonzern des Landes, der noch dazu zum Teil der Republik gehört, ins juristische Visier genommen zu werden – das ist auch für uns nicht alltäglich. Aber was ist der Grund für die OMV-Attacke gegen DOSSIER?

Es geht um die Story „Milliardendeal im Morgenland“ vom 28. Oktober 2020. Die drehte sich um den Borealis-Deal. Wenige Monate zuvor hatte die OMV um rund vier Milliarden Euro Anteile am Chemiekonzern Borealis erworben, der bisher größte Deal in der österreichischen Industriegeschichte. Verkäufer war Mubadala, also der Abu-Dhabi-Staatsfonds, der selbst mit 24,9 Prozent an der OMV beteiligt ist. Gemeinsam mit der Staatsholding Öbag – sie hält 31,5 Prozent – als Syndikatspartner kontrolliert Mubadala die Geschäfte der OMV.

Im Grunde geht es um eine einfache Sache: Ein teilstaatliches Unternehmen hat – mit teilstaatlichem Vermögen – einen Milliardendeal mit einem Großaktionär abgeschlossen. Hat die OMV dabei zu viel bezahlt? DOSSIER-Recherchen, die von anderen Medien sowie die der Opposition geben Anlass zu diesem Verdacht. So haben wir das berichtet. Und das hat der OMV gar nicht gefallen.

„Eine Einschüchterungsklage“

Im Zentrum der „Morgenland“-Story stand eine vertrauliche E-Mail, die ein Borealis-Controller an OMV und Mubadala geschrieben hatte. Sie nährte den Verdacht, dass der Aufsichtsrat nicht vollständig darüber informiert worden sein könnte, dass sich die Borealis-Geschäfte wegen der Corona-Pandemie und des Ölpreisverfalls schlechter entwickeln würden als erwartet.

Doch nicht die brisante E-Mail störte die OMV, sondern drei andere Passagen im Artikel: dass die OMV für die Borealis-Aktien einen überhöhten Betrag bezahlt haben könnte, dem OMV-Aufsichtsrat wichtige Borealis-Informationen nur als Tischvorlage zur Verfügung gestellt worden sein sollen und eine bei großen Transaktionen übliche MAC-Klausel im Kaufvertrag gefehlt haben soll.

Doch just jene Punkte, die die OMV so empörten, waren schon lange vor Erscheinen unseres Artikels bekannt. Ein mutmaßlich zu hoher Kaufpreis, die umstrittene Tischvorlage, die MAC-Klausel – darüber hatten nicht nur Kurier und Standard berichtet. Die Punkte wurden auch in parlamentarischen Anfragen mehrmals erörtert. Außerdem hatten wir der OMV Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen konkreten Vorwürfen gegeben, die aber nur sehr allgemein in Abrede gestellt wurden.

„Das ist eine klassische Einschüchterungsklage“, sagt Rechtsanwältin Maria Windhager, die DOSSIER im Prozess vor dem Wiener Handelsgericht vertritt. „Es geht ganz gezielt darum Macht zu demonstrieren, Kritiker einzuschüchtern und DOSSIER in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben.“ Denn die Abwehr solcher Klagen sei zeitaufwendig und mit hohen Prozessrisiken verbunden. Schon die Vorfinanzierung kann die finanziellen Reserven übersteigen und ist daher fast nicht leistbar, selbst wenn nach erfolgreichem Instanzenzug die OMV am Ende die Kosten tragen muss. Das Verfahren könnte bis zu drei Jahren dauern.

Doppelt hält besser

Wegen einer Klage eines Milliardenkonzerns die Berichterstattung einzustellen kam für uns nicht infrage – wir bohrten weiter. Am 14. Jänner 2021 erschien die nächste DOSSIER-Story: „Orientalische Spezialitäten im Hohen Haus“. Der Inhalt: wie der Borealis-Deal Parlament, Kanzleramt sowie Finanz- und Justizministerium beschäftigt. Daraufhin legte die OMV nach und brachte am 8. Februar die zweite Klage gegen DOSSIER ein.

Der Streitwert diesmal: 60.000 Euro. Die OMV verlangt auch Schadenersatz, was in solchen Fällen nur selten vorkommt.

Sie hat dazu zwei Gutachten vorgelegt. In einem wurde eine Medienresonanzanalyse durchgeführt, im anderen die Auswirkungen der DOSSIER-Artikel auf den Markenwert der OMV kalkuliert. Im Markenwert-Gutachten wird der OMV-Pressesprecher so zitiert:

„Der Bericht von DOSSIER hat unserer Ansicht nach einen Reputationsschaden angerichtet, der auch in zahlreichen Gesprächen mit Journalistinnen spürbar war. Wir haben uns daraufhin zu einer ursprünglich nicht geplanten Werbekampagne entschlossen, die ausschließlich der Borealis-Transaktion gewidmet war und Kosten von 660.000 Euro verursacht hat. TV: 425.000 Euro (55 % ORF / 45 % privat). Online: 235.000 Euro.“

Greift die OMV hier zum PR-Einmaleins: Auf kritische Fragen reagiert man mit der Schaltung von Inseraten? Werden so Berichte verhindert? Bei DOSSIER führt das ins Leere. Wir sind werbefrei.

Schweigen, dann klagen

Im Zuge der Recherchen wurde OMV-Vorstand Rainer Seele mehrfach um Stellungnahme gebeten. Nicht nur Seele, auch die OMV-Aufsichtsräte lehnten Stellungnahmen ab und verwiesen auf die OMV-Pressestelle.

Dort wurde der Vorwurf unrechtmäßiger Handlungen zurückgewiesen und grundsätzlich festgestellt, dass die OMV alle Gesetze einhalte. Konkrete Fragen wurden mit Verweis auf Betriebsgeheimnisse und Verschwiegenheitspflichten nicht beantwortet. Antworten gab es also nicht, stattdessen deckte man DOSSIER mit Klagen ein.

Wir halten dagegen.

Aus prozessökonomischen Gründen wurden die zwei OMV-Klagen zusammengelegt und werden nun gemeinsam verhandelt. Mittlerweile wird Schadenersatz in Höhe von insgesamt 130.000 Euro begehrt.

Am 28. Mai 2021 um 9 Uhr startet im Handelsgericht Wien das Beweisverfahren im Prozess OMV gegen DOSSIER. Wenige Tage vor der OMV-Hauptversammlung am 2. Juni. Vor Gericht sind eine Reihe prominenter Zeugen geladen: Öbag-Vorstand Thomas Schmid, Tyrolit-Chef Christoph Swarovski, Ex-EZB-Direktorin Gertrude Tumpel-Gugerell, die Betriebsräte Angela Schorna und Gerhard Singer – allesamt OMV-Aufsichtsratsmitglieder – sowie Ex-OMV-Konzernbetriebsratsvorsitzende Christine Asperger und Ex-OMV-Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Berndt.

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