Von Ashwien Sankholkar
2.7.2019

„So sind wir nicht, so ist Österreich nicht“, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen nur einen Tag nachdem im Mai ein auf der Insel Ibiza heimlich gedrehtes Video Österreich in einen kollektiven Schockzustand versetzt hatte. Zur Erinnerung: Der frühere FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache protzte darin unter anderem damit, Gesetze gegen Geld außer Kraft zu setzen.

Wer zahlt, schafft an. 

Dieses Credo ist in Österreich weitverbreitet. Die Republik hat ein strukturelles Problem mit Korruption. Anders lässt sich der gewaltige Schaden, der in den vergangenen zwanzig Jahren durch eine Serie an Wirtschaftskriminalfällen entstanden ist, kaum erklären: 15 Milliarden Euro. Letztlich alles Volksvermögen, das in private Taschen floss oder sonst wie verpuffte.

Illustration: S.R. Ayers

Die gigantische Geldsumme macht eine Spurensuche nach Mechanismen und Mechanikern der Misswirtschaft zum journalistischen Auftrag. Darum widmet sich die zweite Ausgabe des DOSSIER-Magazins einem alten neuen Megatrend: Korruption. 

Die großen Milliardengräber wie rund um die Staatsbanken Hypo Alpe Adria und Kommunalkredit werden ebenso dokumentiert wie spektakuläre Affären (Eurofighter, Telekom, Buwog et cetera), bei denen Parteien und Private schamlos mitverdient haben. Die heimische Korruptionslandschaft wird von DOSSIER neu vermessen.

Wo liegen die sauren Wiesen und die tiefen Sümpfe? Wohin fließen die Schmiergeldströme? Wo sind die nächsten Korruptionsbeben zu erwarten? Und wer sind die Nutznießer? 

Fehlgeschlagene Spekulationsgeschäfte, faule Firmenkredite oder fragwürdige Vermittlungsprovisionen finden in der Korruptionsbilanz den stärksten Niederschlag. Ausgeglichen wird das Schattendefizit fast immer durch die Allgemeinheit: über Steuererhöhungen, Gebührenanpassungen oder Kürzungen im Gesundheits- und Sozialbereich.

Vom Postenschacher in staatsnahen Betrieben bis zur illegalen Parteienfinanzierung über Tarnorganisationen: Vieles ist bekannt, aber die Öffentlichkeit erfährt nichts davon. Warum braucht es das Ibiza-Video, um die Gesellschaft aufzuschrecken? Vielleicht, weil die mit Regierungsinseraten gefütterten Medien lieber andere Schwerpunkte setzen und mit ihrer Kritik eher zurückhaltend sind.

Vernichtung von Volksvermögen

Im Kampf gegen das Korruptionsmonster sind auch konstruktive Analysen wichtig. Dazu gehört, aus früheren Fehlern zu lernen. Der größte Sündenfall der jüngeren Wirtschaftsgeschichte jährt sich heuer zum zehnten Mal: 2009 schlitterte die Kärntner Hypo Group Alpe Adria in die Pleite. Es ist der am besten dokumentierte Bankenskandal Österreichs.

Es gab einen im Kärntner Landtag eingerichteten Untersuchungsausschuss, eine von der Bundesregierung eingesetzte Untersuchungskommission, forensische Untersuchungen, Nationalbank- und Rechnungshof-Berichte sowie staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und eine Reihe von Strafprozessen inklusive Verurteilungen.

Laut aktuellem Sanierungsplan der Heta – so heißt die mit der Abwicklung befasste Abbaueinheit – hat die Hypo-Rettung bis 2016 sage und schreibe 5,5 Milliarden Euro Staatsgeld verschlungen. Doch das ist nicht alles. Obwohl die Verwertung des Hypo-Vermögens besser als erwartet voranschreitet, sind für die operative Abwicklung der größten „Bad Bank“ bis zum Jahr 2023 weitere 499 Millionen Euro veranschlagt.

Unter Berücksichtigung von Gesamtausgaben für Behörden (Finanzaufseher, Polizisten, Staatsanwältinnen, Richterinnen) und Berater (Anwälte, Forensiker, Steuerberaterinnen, PR-Expertinnen) verursachte das Hypo-Desaster einen Schaden von rund 6,5 Milliarden Euro.

Die Hypo Alpe Adria ist nicht das einzige Geldhaus, das den Steuerzahlern wie ein Mühlstein am Hals hängt. Da wären noch die Bad Banks Immigon und KA Finanz. Immigon heißt die Nachfolgerin der Österreichischen Volksbanken AG (ÖVAG), das einstige Spitzeninstitut des genossenschaftlich organisierten Volksbanken-Sektors. In der KA Finanz werden die Reste der ÖVAG-Tochterbank Kommunalkredit verwertet.

Nepotismus, Missmanagement und eine katastrophale Kreditpolitik trieben die Volksbanken in den Abgrund. Hochriskante Spekulationsgeschäfte, die im Gefolge der globalen Finanzkrise 2008 schlagend wurden, gipfelten im Kollaps der Kommunalkredit. Gemeinsam kosteten ÖVAG und Kommunalkredit den Steuerzahler rund sechs Milliarden Euro.

Dementsprechend errechnete der Fiskalrat, als staatlicher Schuldenwächter, dass auch nach der vollständigen Abwicklung von Heta, Immigon und KA Finanz bis 2023 rund zwölf Milliarden Euro bei der Republik hängenbleiben werden.

Hinter der Vernichtung von Volksvermögen stecken oft politische Günstlinge, die ihre Nähe zu Parteien, Behörden oder Ämtern schamlos ausnutzen. Während die Hypo-Pleite vor allem eine Geschichte der freiheitlichen Verschwendungssucht unter dem 2008 verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider ist, haben bei der teuren Rettung von ÖVAG und Kommunalkredit ehemalige ÖVP-Finanzminister ihre Hand im Spiel: Josef Pröll, Maria Fekter und Michael Spindelegger.

Auch Erwin Pröll, Niederösterreichs legendärer schwarzer Landeshauptmann, hielt – ähnlich wie Haider – viele Jahre lang die schützende Hand über „seine“ Landesbank. Das Land Niederösterreich hatte bei der Veranlagung von landeseigenen Wohnbaugeldern nach 2001 massive Verluste eingefahren. Laut Rechnungshof lag die Abweichung „eine Milliarde unter dem Zielwert“. Die landeseigene Hypo Niederösterreich half beim Verstecken der Verluste – und geriet selbst in eine Notlage, weil die Vertuschungsaktion aufgedeckt wurde.

Ähnlich wie Jörg Haider verteidigte Erwin Pröll seine Bankvasallen – und intervenierte erfolgreich: Prüf- und Strafverfahren wurden eingestellt, die Bank durfte weiterwurschteln, als wäre nichts passiert. Die Verantwortlichen wurden nie zur Rechenschaft gezogen, und der Steuerzahler war wieder einmal der Dumme.

Rotes Sündenregister

Verspekuliert haben sich aber nicht nur FPÖ und ÖVP. Die Misswirtschaft beim Umgang mit öffentlichen Geldern ist parteiübergreifend. Die Sozialdemokraten führen ihr eigenes Sündenregister. Drei große Landeshauptstädte ringen bis dato damit, dass rote Kader sich nachhaltig verzockt haben.

Linz kämpft mit den Folgen eines Zinstauschgeschäfts mit der Bawag (Risiko: 500 Millionen Euro), und in Salzburg sind es Spekulationsgeschäfte mit der Deutschen Bank (350 Millionen Euro). In Salzburg gab es Rücktritte und einige Verurteilungen. Im Fall Linz liegt die Sache bei Gericht, wo Stadt und Bawag gegenseitig Schadenersatz fordern.

In Wien konnten riskante Schweizer-Franken-Kredite zwar steuerschonend umgeschuldet werden, dafür entpuppt sich der Krankenanstaltenverbund als Milliardenloch. Die seit 2012 mehrfach überschrittenen Baukosten beim Krankenhaus Nord (neuer Name: Klinik Floridsdorf) liegen aktuell bei 1,34 Milliarden Euro – Mehrkosten für die Steuerzahler: 516 Millionen Euro.

In allen Fällen haben die internen Kontrollsysteme versagt. Beamte und Politiker ließen sich von den Verkaufsexperten der Banken einseifen oder akzeptierten überzogene Offerte anstandslos. Nicht auszuschließen, dass auch Kickbacks auf höchster Ebene im Spiel waren. Untersucht wurde das oft nur oberflächflich. Dabei kann die Suche nach Schmiergeldempfängern durchaus lohnend sein.

Justiz-Hickhack in der Causa Eurofighter

In der Causa Eurofighter stellten die Staatsanwaltschaften in München und Wien vor sieben Jahren fest, dass rund 200 Millionen Euro in Form von illegalen Provisionen verteilt worden waren. Während die deutsche Strafjustiz mittlerweile hohe Bußgelder verhängt und sogar eine Anklage fabriziert hat, herrschen in Österreich Stillstand und Chaos. Doch es kommt noch schlimmer.

Die Wiener Justiz steht in Sachen Eurofighter seit wenigen Wochen selbst unter Korruptionsverdacht. Eine neue Entwicklung, die gut in die legendäre ORF-Krimiserie Kottan ermittelt passen würde. Der wegen Bestechungsverdachts ermittelnde Eurofighter-Staatsanwalt wurde Ende 2018 abgezogen und wegen Amtsmissbrauchs angezeigt. Seine Akten wurden von der Staatsanwaltschaft Wien an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) übertragen. In der Folge krachte es im Mai 2019 abermals.

Die neuen Eurofighter-Staatsanwälte wussten nicht, was sie mit den bisherigen Verfahrensergebnissen machen sollten. Anklagen, Verfahren einstellen oder neue Ermittlungen einleiten?

Der Konflikt über das weitere Vorgehen eskalierte nach einer internen Dienstbesprechung, die heimlich aufgezeichnet und den Medien zugespielt wurde. Auf Basis des Tonbandprotokolls wurde Christian Pilnacek angezeigt: WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda wirft dem Strafrechtssektionschef im Justizministerium Amtsmissbrauch vor. Das Verfahren wurde von Wien nach Linz übertragen.

Die Staatsanwaltschaft Linz machte jedenfalls kurzen Prozess. Die Oberösterreicher stellten das Verfahren wegen mangelnden Anfangsverdachts ein. Das ostentative Desinteresse überraschte, denn die Linzer verzichteten sogar darauf, sich die Tonaufzeichnung anzuhören. Das roch streng nach Kabinettsjustiz. Doch das juristische Kasperltheater ging weiter. 

Nun zeigte die Pilnacek unterstellte Oberstaatsanwaltschaft Wien die renitenten Korruptionsstaatsanwälte an – wegen Beweismittelfälschung und illegaler Tonaufnahmen – und setzte den Krieg unter den Korruptionsjägern fort. Die Ibiza-Affäre und das beschriebene Justiz-Hickhack drängten den größeren Skandal in den Hintergrund: das Justizversagen bei der Aufklärung der Eurofighter-Causa.

Das katastrophale Klima in der größten Antikorruptionsbehörde des Landes fördert nicht unbedingt das Vertrauen in eine konsequente Strafverfolgung. Dabei gibt es durchaus Erfolgsfälle wie etwa die Strafprozesse rund um die staatsnahe Telekom Austria, wo Schmiergeldzahlungen an parteinahe Strukturen im Zentrum standen.

Kleinvieh macht Mist

An Firmen des schillernden PR-Beraters Peter Hochegger überwies die Telekom-Gruppe zwischen 2005 und 2010 rund 40 Millionen Euro. Das Geld wurde meistens zur politischen Landschaftspflege verwendet. Die Telekom fungierte dabei als Bankomat der Parteien, der auf Wunsch von ÖVP, BZÖ und SPÖ jeden Betrag ausspuckte. Besonders viel Geld floss in Richtung ÖVP, die immer wieder von Parteifinanzierungsskandalen verfolgt wird.

Auch der Buwog-Prozess gegen Karl-Heinz Grasser, der laut Anklage mit Hochegger und anderen Amigos beim Verkauf von 40.000 Bundeswohnungen im Jahr 2004 rund 9,6 Millionen Euro illegale Vermittlungsprovision eingestreift haben soll, ist eine juristische Sensation. Dass einem ehemaligen Finanzminister der Republik der Prozess gemacht wird, spricht für das Funktionieren des österreichischen Rechtsstaats. Für Grasser, Hochegger und Co gilt die Unschuldsvermutung. 

An der üblen Telekom-Tradition der illegalen Parteienfinanzierung über Dritte scheint sich indes nichts geändert zu haben. In den Ibiza-Videos nannte Strache drei Namen: Glock, Novomatic und René Benko. Ein Waffenproduzent, ein Glücksspielkonzern und ein Immobilientycoon.

Neben den großen Banken und Baukonzernen gehören sie zu den üblichen Verdächtigen in Sachen Geldwäsche, Korruption und Misswirtschaft, denn das Ausräumen der Staatskassen benötigt etablierte Strukturen, ein engmaschiges Netzwerk und reichlich Erfahrung im Umgang mit Finanzströmen. Während sich die Telekom noch eines PR-Beraters als Zahlstelle bediente, gibt es offenbar den neuen Trend, dass „gemeinnützige Vereine“ zur illegalen Parteienfinanzierung zwischengeschaltet werden.

Die Liste der Korruptionsfälle und der korrespondierenden Schadenssummen ließe sich weiter fortsetzen – mit renommierten Kulturinstitutionen wie etwa dem Burgtheater, dem Belvedere oder den Festspielen Erl bis zu Sportverbänden wie der Bundesliga, dem Österreichischen Olympischen Comité oder dem Skiverband. In Summe geht es in diesen Fällen um mehrere hundert Millionen Euro, die über diverse Töpfe verteilt werden. Der intransparente Umgang mit öffentlichen Geldern ist dabei keine Seltenheit.

Kleinvieh macht nicht nur Mist, sondern kann sehr rasch zu einem gefräßigen Monster mutieren. Das lässt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos vom 21. Mai 2019 befürchten. Darin hält das Innenministerium fest, dass nicht nur die Zahl der angezeigten Delikte angestiegen ist – von 37.300 im Jahr 2016 auf 41.000 im Jahr 2018 –, sondern auch die Kosten der Misswirtschaft. Höchste Zeit also, dem kostspieligen Treiben ein Ende zu setzen und das Monster zu bändigen.