Von Peter Sim
4.2.2021

Es ist ein handfester Skandal, den Ferdinand Wegscheider schonungslos aufdeckt: Ein Mitarbeiter der „sogenannten“ Rechercheplattform DOSSIER sei auf frischer Tat ertappt worden, als er „mit Kamera bewaffnet, nächtens, illegal in das Firmengelände eines Getränkeabfüllers in Vorarlberg eindringen wollte“, sagt der Intendant des Red-Bull-Fernsehsenders Servus TV wörtlich in seinem wöchentlichen Kommentar „Der Wegscheider“. Das klingt ernst. Aber Moment. Der meint ja mich. 

Ich war im Zuge unserer Recherchen zu Red Bull in Vorarlberg. Der Journalist, der unter die Kriminellen gegangen sein soll, bin ich. Was habe ich getan? Am 26. November des vergangenen Jahres hatte ich mich mit zwei Vertretern der Bürgerinitiative Ludesch verabredet. 

Seit Jahren wehren sie sich gegen eine Erweiterung des Werks der Firma Rauch in ihrem Ort. Denn Rauch produziert nicht nur Fruchtsäfte, sondern füllt dort auch einen Großteil der weltweit verkauften Red-Bull-Dosen ab. Gleich nebenan stellt das Unternehmen Ball Beverages die Dosen des Energydrinks her. Daher mein Interesse. 

Der Rundgang

Um 15 Uhr treffe ich die Herren von der Bürgerinitiative, spreche mit ihnen über ihr Engagement. Dann zeigen sie mir das Gelände, auf dem die Erweiterung der Rauch-Fabrik geplant ist – bislang eine geschützte Landesgrünzone. Wir gehen über Wiesen und Felder. Der Rundgang um das Werk des Dosenherstellers endet beim Parkplatz des Rauch-Werks. Ich sehe keine „Zutritt verboten“-Schilder, keinen Schranken oder Ähnliches – doch offenbar ist die Straße, die zum Parkplatz des Werks führt, bereits Privatgrund.

Auf dem Rückweg zum Auto, etwa kurz nach 16 Uhr, spricht mich ein Security-Mitarbeiter an. Er fragt mich, was ich hier mache. Ich lege offen, dass ich Journalist bin und für DOSSIER zum Thema Red Bull recherchiere. Dann gebe ich ihm meinen Namen und meine Telefonnummer. Falls es weitere Fragen gebe, sei ich jederzeit für Vertreter der Firma Rauch erreichbar.

Der Rundgang um das Abfüllareal von Red Bull; Satellitenbild: Google Earth

Der anonyme Anrufer

Vier Tage später erhalte ich einen Anruf mit unterdrückter Nummer. Der Anrufer spricht mich auf den Rundgang in der Nähe des Firmengeländes von Rauch an. Dann wird es kryptisch und irgendwie unheimlich: Die Lage im Lebensmittelbereich sei sehr angespannt, sagt der Anrufer. „Da muss man aufpassen, die Lage wird sehr schnell ernst.“ Was soll das heißen? 

Ich frage ihn nach seinem Namen und für wen er denn arbeite. „Ich rufe an, um Fragen zu stellen, nicht um mich ausfragen zu lassen“, sagt er. Bin ich im falschen Film? 

Nach ein paar Versuchen, seinen Namen zu erfahren, gebe ich auf. Dafür legt er nach: „Sie werden doch nicht wollen, dass jemand bei Ihnen um die Wohnung schleicht und Fotos macht.“ Wie bitte? Ist das eine Drohung? Der anonyme Anrufer geht nicht darauf ein. Das Gespräch endet abrupt. Ich berichte der Redaktion von dem seltsamen Telefonat und schreibe ein Protokoll.

Vor der Veröffentlichung dieses Artikels rufe ich bei Rauch-Geschäftsführer Daniel Wüstner an. „Einen Auftrag für so ein Telefonat gab es nicht“, sagt er. Für die Sicherheit des Werks sei die Firma Österreichischer Wachdienst zuständig. Ich frage dort nach: Ein vom Unternehmen versprochener Rückruf, um die Sache zu klären, blieb bis heute aus. 

Wegscheiders Auftritt

Nach dem anonymen Anruf passiert lange nichts. Bis am 16. Jänner 2021 „Der Wegscheider“ auf Sendung geht und den Vorfall öffentlich macht. Wie die Informationen zum Servus-TV-Intendanten gelangten, ist von außen nicht nachvollziehbar. Rauch-Geschäftsführer Wüstner sagt, er wisse auch darüber nichts. In der Version, die Wegscheider samt Eulenspiegel-Puppe neben ihm erzählt, wird der Tag zur Nacht, ein Handy zur Kamera und einer „Waffe“ und aus einer Vor-Ort-Recherche illegales Eindringen.

Ferdinand Wegscheider fragte vorher nicht bei DOSSIER nach. Er gab mir nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme, wie es journalistische Sorgfalt vorsieht. Der Kanal wäre offen gewesen: In den Wochen zuvor hatten wir Vertreter von Red Bull, Rauch und auch Wegscheider persönlich um Interviews gebeten. Vergeblich. Seine Antwort gibt Wegscheider lieber on Air.

DOSSIER recherchiere „gegen Red Bull“. Man habe zu ehemaligen Mitarbeitern gesagt, „Positives über Red Bull interessiert uns nicht“ – und dann noch ich: „nächtens, illegal, auf frischer Tat ertappt“. All das stimmt nicht – doch für Wegscheider tut das nichts zur Sache.

Allein auf Facebook sehen den Beitrag über 415.000 Personen. Uns erreichen empörte Mails von Leserinnen und Lesern, die die von Wegscheider geschilderten Recherchemethoden natürlich nicht gutheißen. Interviewpartner ziehen Zitate zurück. Freundinnen und Kollegen melden sich: „Stimmt das? Seid ihr bei Rauch eingestiegen?“ Nüchtern gesagt: Wegscheiders falsche Behauptungen schädigen unseren Ruf und kosten uns Zeit und Geld.

Der Mann mit der Puppe

Wir fordern Wegscheider auf, die Sendung vom Netz zu nehmen. Er antwortet rasch: „… meine Schilderung vom Vorfall mit Ihrem Kollegen bei der Firma Rauch im Wochenkommentar vom 16. Jänner 2021 war – aufgrund der mir vorliegenden Informationen – nicht ganz korrekt.“ Er werde das in der nächsten Sendung richtigstellen. Am 23. Jänner legt Wegscheider nach: 

„Nach Überprüfung von Foto- und Videoaufnahmen stelle ich deshalb gerne richtig: Der Vorfall hat sich nicht nächtens, sondern am späten Nachmittag ereignet. Und der mit einer dunklen Kapuzenjacke bekleidete DOSSIER-Mitarbeiter wollte nicht in das Firmengelände der Firma Rauch eindringen, sondern der Wachdienst wurde auf ihn aufmerksam, weil er sich bereits unbefugt auf dem Firmengelände befunden und dort fotografiert hat.“ 

Woher hat Wegscheider Foto- und Videoaufnahmen von mir in der Nähe des Rauch-Werks? Rauch-Geschäftsführer Wüstner ist auch in dieser Frage ahnungslos: „Ich habe die Sendung nicht gesehen. Ich weiß nicht, von welchem Material die Rede ist.“

Der Fall zeigt, wie Servus-TV-Chef Wegscheider, der in diesem Fall als eine Art Red-Bull-Pressesprecher agiert, arbeitet. Der Intendant verbreitet einfach mal falsche Vorwürfe und missachtet die Regeln des journalistischen Handwerks. Weil er seinen Kommentar als Satire tarnt, kommt er damit durch.

„Red Bull – Ungesüßte Geschichten“

Wegscheider kann sich mit seinen Aussagen aus dem Fenster lehnen, etwa wenn er von der Corona-„Plandemie“ spricht. In der Sendung wackelt er mit seiner Till-Eulenspiegel-Puppe und grinst. Satire darf viel, gegen Klagen immunisiert sich Wegscheider so weitgehend. 

Wir haben uns entschlossen, gegen seine falschen Behauptungen nicht juristisch vorzugehen. Das passt nicht zu uns. Das Geld unserer Leserinnen und Leser wollen wir in Journalismus investieren, nicht in Klagen. Wir glauben an unser Verständnis vom Journalismus und nicht an jenes von Wegscheider.

Unsere Recherchen, die Wegscheider und seine Chefs so irritieren, lesen Sie demnächst in unserem neuen Magazin „Red Bull – Ungesüßte Geschichten“. Machen Sie sich selbst ein Bild.

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